Ein Belächeln oder Kleinreden der Protestaktionen von SchülerInnen gegen den Klimawandel könnte sich als Fehler erweisen
Macht könne immer nur vom Volk verliehen und daher jederzeit zurückgenommen werden, schrieb die Philosophin Hannah Arendt 1970 in „Macht und Gewalt“. So gesehen manövrieren sich derzeit einige Regierungen in ein ungeahntes Problem – darunter vielleicht auch die österreichische.
Nicht zufällig wird aktuell vor allem darüber diskutiert, ob SchülerInnen für Demonstrationen der Schule fernbleiben dürfen, während die umweltpolitischen Inhalte von „Fridays for Future“ nur gestreift werden. Das Umweltthema ist unbequem, weil es tatsächliches Handeln einfordert. Politisch noch wesentlicher: Es muss langfristig gedacht werden, und politischer Lohn ist kaum zu gewinnen. US-Präsident Trumps Leugnung des Klimawandels mag radikal sein, ist allerdings auch ehrlich, indem er zugibt, dass er nichts zu tun gedenkt. Andere Regierungen lenken eher vom Thema ab.
Dieses Verhalten entspricht einer wesentlichen politischen Regel: Man versucht ein ungeliebtes Thema aus der Aufmerksamkeit wegzubekommen, indem man ein anderes aufbläst oder das Verhältnis zwischen Täter und Opfer umdreht.
Aktuell wird die Täterschaft dahingehend umgedreht, dass die SchülerInnen zwar für ihre politische Wachheit gelobt werden, man parallel dazu aber ihr Schulschwänzen zum eigentlichen Thema erhebt. Die SchülerInnen werden zu TäterInnen, indem ihr Verhalten erst durch einen ministeriellen Erlass zur tatsächlichen Gesetzesübertretung gemacht wird. Hannah Arendt nennt solches Agieren die „Herrschaft der Büros“ (Bürokratie meinend). Juristisch ist das Vorgehen korrekt, politisch allerdings zu kurz gedacht, da es ein ungeschriebenes Gesetz übersieht: Nimmt man ihre Kinder nicht ernst, werden Eltern empfindlich.
So erfolgreich die Message-Control der österreichischen Regierung unter anderen Umständen ist, sie hat einen Haken, der nicht nur die Eltern der SchülerInnen betrifft: Sie kann nicht gegen das Bild jugendlicher Unschuld und gegen emotionale Glaubwürdigkeit antreten. Die demonstrierenden SchülerInnen besitzen beides. Sie haben keine definierte Macht, aber betonen glaubwürdig, dass sie – im Gegensatz zu manchen EntscheidungsträgerInnen – künftig mit dem Klimawandel leben müssen.
In den 1980er-Jahren fühlten Kinder eine ähnliche Betroffenheit. Sie waren es, die ihre Eltern dazu bewegten, Müll zu trennen und das Umweltthema in die Politik zu bringen. Das wiederholt sich nun mit den Mitteln des Zeitgeistes: digitale internationale Vernetzung von politisch Ungeübten, die über viel Idealismus verfügen. Unschuld eben.
Schlimmer noch für das Bildungsministerium: Die SchülerInnen organisieren sich ihre eigene politische Bildung, indem sie – nicht nur in Wien – aus Demonstrationen fachspezifische Exkursionen mit Vorlesungen machen. Diese SchülerInnen sind die kommenden WählerInnen, und sie bringen eines mit: Politisierung durch Wissen. Hier hilft auch keine Kampagne mehr, die alternative Fakten verbreitet. Ob es die kommenden Wahlen zum europäischen Parlament betrifft oder spätere nationale Wahlen: Die verschiedenen Regierungen könnten weit mehr verlieren als das Thema Klimawandel. Ein Ernstnehmen der Jugendlichen mit einem konkreten politischen Anliegen könnte sich daher als politisch klug erweisen.
Erstmals erschienen in: Der Standard