Rassismus ist nicht das Problem der anderen

Er ist keine Geißel Gottes sondern veränderbar. Auch in der eigenen Lebenswelt.

 

Die Verwunderung über die Entwicklungen in den USA paaren sich gerne mit Spekulationen, ob diese Donald Trump den Wahlsieg kosten könnten. So dauert es meist nur zwei oder drei Sätze, bis das Gespräch von den Demonstrationen gegen Rassismus zu einem alten weißen Mann wechselt. Wenngleich feststeht, dass dieser Präsident der USA ist, zeigt es, wie ungern man sich mit dem Thema Rassismus beschäftigt. Es ist leichter, den Ärger über Trump zu teilen, als über rassistisches Verhalten zu sprechen, denn man könnte bei sich selbst landen.

Man macht sich gerne vor, Rassismus sei das, was woanders passiert. Mit Tätern und Opfern, die nichts mit der Gesellschaft hier zu tun haben. Es wäre schön, wenn es das Problem in Österreich nicht gäbe, aber nur weil weniger Menschen mit afrikanischen Wurzeln in diesem Land leben, rettet das die weiße Mehrheit nicht vor ihrem Rassismus. Dieser ist historisch gewachsen und strukturell so verankert, dass man ihn nicht immer bemerken muss/will.

Warum schweigen PolitikerInnen zu Rassismus?

Hingegen fällt auf, dass es von Seiten der Politik sehr ruhig ist. Niemand scheint sich mit dem Thema anpatzen zu wollen. Es birgt zu viele Stolpersteine. So schweigt der Bundeskanzler. Außenminister Alexander Schallenberg nennt im ORF-Interview Rassismus „eine Geißel, die in jeder Gesellschaft leider Gottes präsent ist“. Die restlichen Minister scheinen mit Corona oder Ibiza beschäftigt oder sich daran gewöhnt zu haben, seit Monaten nicht mehr in den Medien vorzukommen. Auch die grünen Regierungsmitglieder äußern sich kaum. Vielleicht, weil man bei diesem Thema politisch nichts gewinnen kann und stets am Rande des Fettnäppchens oder eines medialen Shitstorms steht.

Grund dafür ist, dass sich Rassismus so tief in die Gesellschaft eingeprägt hat und strukturell derart verankert ist, dass man sich seiner eigenen rassistischen Äußerungen und Handlungen kaum mehr bewusst ist. Dann mag man zwar sagen, man hätte den Witz ja nicht so gemeint, man sei missverstanden worden, oder etwas sei nur eine unschuldige Redewendung, ganz „normal“, doch genau hier liegt der Haken. Rassismus ist nämlich keineswegs eine Geißel, wie Schallenberg sagt. Sie ist kein Schicksal, keine Krankheit, nichts das ein Gott geschickt hat. Rassismus ist die ständige Wiederholung derselben Denkmuster. Rassismus ist die Faulheit, zu denken, ehe man spricht oder Begriffe und Sprüche endlich aus dem eigenen Wortschatz zu verbannen.

Rassismus wird vererbt

Rassismus ist so gesehen erblich. Natürlich nicht über Gene, sondern er wird von Generation zu Generation weitergegeben – sprachlich, mit Symbolen, Speisen, Liedern, auch in der Literatur und vor allem im Alltag. Ein beliebter Satz von Rassisten lautet: „Ich habe ja nichts gegen …, aber …“ In diesem Aber steckt mehr Gewalt, als der Redner zu wissen meint. Dieses Aber bedeutet, dass man eine Person, die man aus welchem Grund auch immer nicht mag, gleichsetzt mit „Ihresgleichen“, wobei man selbst definiert, wer eines anderen Gleicher sei. Damit baut man eine Barriere zwischen jenen und sich. Es ist das vielzitierte „wir und die anderen“, wobei das generell positiv besetzte Wir automatisch „die Anderen“ degradiert.

Man kann offen und achtsam sein und dennoch rassistische Muster weitertragen. So kann man eine Person anderer Hautfarbe grüßen und immer freundlich sein. Doch man darf sich auch folgende Fragen stellen: Wann habe ich jemals mit dieser Person gemeinsam etwas getrunken oder gegessen, wenn wir am selben Ort, vielleicht sogar beim selben Fest waren? Wann habe ich gefragt, wie es ihr geht und ein Gespräch geführt, in dem nicht irgendwann die Frage im Raum stand, woher sie denn „eigentlich“ sei, wo denn „die Familie“ lebe (was immer bedeutet: Geh doch zurück!“)? Wann gab es nicht den einen kurzen Moment, in dem man davon schwärmte, wie gut Afrikaner tanzen oder man vom letzten Afrikaaufenthalt erzählte oder nebenbei fallen ließ, dass man eh schwarze Freunde habe.

Rassismus lässt sich beenden

„Die Anderen“ sind in solchen Gesprächen nicht nur jene, die nicht weiß (eigentlich rosarot) sind, sondern auch die Rassisten. Denn „wir sind ja nicht so“. Leider sind „wir“ das schon, da Rassismus tief verwurzelt ist. Doch man kann jeden Tag dazulernen und man kann noch in diesem Augenblick aufhören, dumme Witze auf Kosten anderer zu machen. Man kann sich überlegen, ob man das N-Wort wirklich braucht, wenn man doch weiß, dass es verletzend und historisch entsetzlich besetzt ist. Man kann ebenso noch heute damit aufhören, Menschen anderer Hautfarbe mit Samthandschuhen zu behandeln, denn auch das ist Rassismus. Man kann und darf auf Menschen ganz natürlich zugehen. Meist tut das niemandem weh.

Und schlussendlich muss man sich nicht angegriffen fühlen, wenn man hört, dass ÖsterreicherInnen zu Rassismus neigen. Es ist eine Bestandsaufnahme, kein persönlicher Angriff. Und wem diese Bestandsaufnahme nicht gefällt, darf jederzeit daran mitarbeiten, dass die Strukturen des heutigen Rassismus so wenig wie möglich an nachfolgende Generationen weitergegeben werden.

Zunächst erschienen in: Dolomitenstadt