Politik in der Pandemie: ein Drahtseilakt

Hoffnung ist ein wesentliches Prinzip in jeder ernsten Krise.

 

Menschen haben das Talent, sich an angenehme wie an unangenehme Situationen zu gewöhnen. Selbst in Diktaturen finden Menschen in kleinen Nischen Möglichkeiten der Hoffnung. Wenn das nicht mehr möglich ist, stehen sie auf und nehmen sich die Macht zurück, die ihnen von Diktatoren und deren Regimes genommen wurden. Jene, die eine Diktatur aufrechterhalten wollen, müssen daher auf den Gewöhnungseffekt bauen und immer wieder Hoffnung geben, wenn diese zu entschlüpfen droht.

Das aktuelle Jammern über das Ende des Rechtsstaates mag zuweilen den Eindruck vermitteln, die Regierungen trieben ihre Länder mit einem konkreten Plan in die Diktatur. Das geht so weit, dass selbst das Auftauchen des Corona-Virus als Teil eines hinterhältigen Komplotts rund um die Weltherrschaft interpretiert wird. Doch nicht alles entspringt einem Plan. Die wenigsten PolitikerInnen und ihre Einflüsterer sind so genial, dass eine derartige Strategie entworfen und erfolgreich umgesetzt würde. Wer an solch ein Vorhaben glaubt, traut den Akteuren mehr zu als sie können.

Macht versus Wirtschaft

Eher ist es so, dass eine kleine Krise durch Unachtsamkeit zu einer globalen geworden ist und seit Monaten zeigt, wie zerbrechlich die demokratiepolitischen Strukturen sind. Macht bröselt, wenn die wirtschaftlichen Grundlagen zur Neige gehen und wenn Menschen in ihrem Alltag eingeschränkt werden – oder das Gefühl haben, eines der beiden treffe zu.

Die Beschränkungen, die aufgrund von Pandemie-Verordnungen zunehmen, nähren die Zweifel an der Demokratie. Doch der Eindruck trügt. Von einer Diktatur ist Österreich weit entfernt. Dennoch gibt der aktuelle Zustand Anlass zur Sorge und lässt dystopische Vorstellungen der Zukunft aufkommen. Die Frage, wie ein demokratisches System jemals wieder aus der Vertrauenskrise kommt, scheint berechtigt.

Pandemie-Verordnungen versus Wohlstand und Freiheit

Der Austausch zwischen Bevölkerung und Regierenden funktioniert nicht mehr. Die einen regieren und versuchen mit immer neuen Regeln die Pandemie einzuschränken und kreieren dadurch gleichzeitig so viele neue Probleme, dass die Angst vor den finanziellen und psychischen Folgen die Angst vor der Pandemie abgelöst hat. Die anderen spüren den Zweifel der Machthaber, die keine Experten sind und zwischen all den Zurufen und Empfehlungen die richtigen herausfiltern sollen, um die Pandemie einzudämmen, zugleich aber Wohlstand, Sicherheit und Freiheit weiter zu garantieren. Solch ein Drahtseilakt kann nicht ohne Fehltritte und ohne Schwanken gelingen.

Somit verselbständigt sich das Misstrauen in die Politik und zugleich wird jegliche Verantwortung an den Staat abgegeben. Wenn die Zahlen steigen, trägt die Regierung die Schuld. Wenn die Maßnahmen zu vorsichtig waren, ebenso. PolitikerInnen können ab einer gewissen Dauer der Pandemie nur verlieren. Hieß es im Frühling noch, man müsse der Bevölkerung mehr Eigenverantwortung zutrauen, verpufft diese nunmehr, weil die Regierung einige ihrer Maßnahmen nicht mehr erklären kann. Zu sagen, das sei jetzt so, werde aber bald wieder anders sein, daher solle man gehorchen, ist wenig hilfreich.

Hoffnung gegen die Dystopie

Gute LehrerInnen und Eltern sagen nicht nur, etwas sei so, sondern versuchen das Warum begreifbar zu machen. Der berühmte Griff auf die Herdplatte muss nicht mit einer Verbrennung enden, sondern kann vermieden werden, wenn erfassbar gemacht wird, warum er nicht guttäte. Der Aufruf müsste daher lauten: PolitikerInnen, nehmt euch Zeit für die Menschen. Erklärt, warum eine Maßnahme Sinn ergibt oder warum ihr euch bemüht, mit einer unangenehmen Regel größeren Schaden zu verhindern. Ebenso müsste klargemacht werden, woher eine Empfehlung kommt. Ansonsten werden stets Korruptionsgerüchte und Verschwörungslegenden auftauchen. Solche Erklärungen würden auch zeigen, ob eine Maßnahme zum aktuellen Augenblick Sinn ergibt oder nicht, und welche Verantwortung sich daraus für die Einzelnen ergibt.

Es darf weiterhin vermutet werden, dass die Oppositionsparteien (un)heimlich froh sind, derzeit nicht auf der Regierungsbank zu sitzen. Es entbindet sie allerdings ebensowenig wie diese davon, im Sinne der Bevölkerung aufzudecken, wo interessenspezifisch beraten wurde. Gerade wenn die Gesetzeslage unübersichtlicher wird, braucht es eine Opposition, die ihre Aufgabe der parlamentarischen Kontrolle ernst nimmt und jene Erklärungen einfordert, die die Bevölkerung braucht, um nicht den Mut zu verlieren.

Hoffnung ist zwar nur ein indirektes Prinzip der Politik, doch ein durchaus wesentliches. In Krisenzeiten hängt alles davon ab, wie sehr Hoffnung gemacht und aufrechterhalten werden kann. Dazu braucht es klare Worte, verständliche Worte und viel Hintergrundinformation.

 

Zunächst erschienen auf: Dolomitenstadt