Viele Interventionen sind plötzlich um eine zu viel

Warum das Land wache Bürger braucht und die Politik kein Märchenland ist.

 

Es war einmal ein ehrgeiziger junger Mann, der mindestens ebenso ehrgeizige Freunde hatte. Sie hatten von der Welt noch nicht viel gesehen, doch regiert hätten sie diese nur allzu gern. Zumindest einen kleinen Teil davon, Österreich, ein feines Land in Mitteleuropa, das sich gerne unschuldig gab. So scharten sie ihre Wirtschaftsfreunde um sich, halfen diesen aus so mancher Not, nahmen die eine oder andere freundliche Spende an – oder all das auch nicht. Man weiß es nicht so genau, denn Jahre später sagte jener Freund des jungen Mannes, der inzwischen Finanzminister geworden war: „Ich kann für mich ausschließen, dass ich mich erinnern kann, dass das ein Thema war.“

Wie es im Märchen den Zauberstab einer guten Fee oder ein stolperndes Wichtelmännchen braucht, um aus dem Zauberschlaf aufzuwachen, könnte der Satz des Herrn Minister zum Aufwachen seines Märchenlandes geführt haben. Wer noch nicht fassungslos wach ist, möge ihn sich ein zweites Mal zu Gemüte führen, ist er doch zu schön: „Ich kann für mich ausschließen, dass ich mich erinnern kann (…)“, sagte der Minister, der bekanntlich keinen Laptop besaß, der ihm auf der Suche nach der Erinnerung geholfen hätte.

Die Erinnerung ist ein weites Feld

Der Satz reiht sich in andere Sätze und Taten, die zu diesem Polit-Märchen gehören, denn die oben erwähnten Freunde sorgten gewissenhaft vor, indem sie sich jahrelang mühten, all jene Institutionen in der Öffentlichkeit zu schwächen, die eines Tages für sie selbst zu gefährlichen Drachen werden könnten. Da war zunächst das Parlament, das – nur zur Erinnerung – das Volk vertritt. An ebendiesem wurde intensiv vorbeigearbeitet, es wurde durch Verordnungen mundtot gemacht und ihm zugleich unterstellt, zahnlos zu sein.

Intervenierende Anrufe beim Staatsfunk schienen kaum der Rede wert und die Nähe zu manchen Medien aufgrund exorbitanter Inseratsausgaben wurde zwar als irritierend betrachtet, doch dem Märchenprinzen und seinen Freunden unterstellt man nichts. So arbeiteten sie fleißig weiter, riefen hier, „Hilfe, rote Netzwerke!“, flüsterten dort, „Gesetze sind fein, Begutachtungen lästig, also verordnen wir lieber“, und fragten sich manchmal: „Die Verfassung, oh, welche Verfassung?“

Korruption, das machen die anderen

Eine kleine Institution allerdings, in der sich eventuell Hexen versteckten, gab es noch: die Korruptionsstaatsanwaltschaft. Sorgfältig platzierte man regelmäßig kleine Zweifel an der Redlichkeit dieser Institution und beschädigte ihren Ruf. Dann war da noch die Justiz. Diese konnte man zum Glück über enge Kontakte zu Ministerien – selbstverständlich privat, man hat halt seine Freunde – zurückpfeifen. So ging es eine ganze Weile und alle lebten zufrieden. Der Umgang mit den Institutionen hätte zwar Sorgen bereiten müssen, doch die Bevölkerung feierte, freute sich ihres Lebens, sodass manches keine Rolle spielte – bis eine hintertückische Krankheit das Land in einen langen Schlaf versetzte. Da träumte die Bevölkerung ein wenig unruhig. Das Vertrauen sank.

Irgendwann wurde der Bevölkerung bewusst, dass das Nachbarland Ungarn nicht unähnlich begonnen hatte. Beeinflussung und Bevorzugung einiger Medien, Beschädigung jener Institutionen, die die Demokratie schützen sollten, Zwischenrufe an die Justiz und im Notfall eine kleine feine Erinnerungslücke – bis das Leben der Demokratie am berühmten seidenen Faden hing.

Die unvermutete Heldin gegen Störfeuer

Ausgerechnet in diesem Augenblick trat eine Heldin auf, die sich im Gegensatz zum grübelnden Finanzminister genau erinnern konnte und wollte. Christina Jilek – Mut sollte niemals namenlos bleiben – war früher Staatsanwältin und als solche mit dem Fall „Ibiza“ beschäftigt. Sie gab auf, weil ständige Anweisungen von oben ihre Arbeit unmöglich machten.

Diese „Störfeuer“, wie sie Jilek öffentlich nannte, begannen nicht mit dem Bundeskanzler, doch er und sein Team haben die hohe Kunst der Ablenkung und freundschaftlichen Bande zur Meisterschaft gebracht. Die Methode aber und die immer gleichen Erzählungen von „ach, die arme Familie“, sobald ein Politiker unschön ins Rampenlicht tritt, sind abgenützt. Diesmal wird es mehr brauchen, um das Vertrauen wieder zurückzuholen, denn jedes Märchen hat ein Ende.

 

Zunächst erschienen auf: Dolomitenstadt