Am Dienstag kommt ein Stück Normalität zurück, heißt es. Doch welche Normalität?
Wann haben Sie das letzte Mal nicht über Corona geredet? Vier Wochen im Ausnahmezustand. Die wirtschaftlichen Folgen nicht absehbar, noch weniger gewiss der innere Zustand der Menschen. Was macht es mit Kindern, wenn sie wochenlang nicht mit Freunden spielen können, und welch ungleiche Entwicklungen erleben sie beim Lernen? Oder was macht die Einsamkeit mit jenen, die wochenlang isoliert werden? Und vor allem: Wer weiß, wie es weitergeht?
Am Dienstag kommt ein Stück Normalität zurück, heißt es. Viele Geschäfte dürfen wieder aufsperren. Dafür herrscht Maskenpflicht. Folgt man hier dem tschechischen Modell, weil man Druck von der Wirtschaft bekommen hat? Ein wenig wirkte die österreichische Regierung selbst überrascht, als sie die neue Regelung verkündete.
Findet die Demokratie zu uns zurück?
Teil dieser schrittweisen Normalität muss es sein, sich die Regierungsarbeit und deren Folgen näher anzuschauen und vor allem genau hinzuhören. Werden wir je zur Demokratie zurückkehren? Selbst wenn man so tut, als hätte man überhört, wie grüne PolitikerInnen plötzlich kein Überwachungsinstrument sehen, wo sie früher laut aufgeschrien hätten, hinterlässt die sogenannte Rot-Kreuz-App einen äußerst unangenehmen Nachgeschmack. Ganz banal: Was geschieht danach mit der App? Nicht alle User werden sie in einigen Monaten löschen, sondern sie wird am Handy unbemerkt weiterexistieren. Da in Bezug auf den Datenschutz der Zweifel der verlässlichste Freund ist, muss zumindest die Frage erlaubt sein, wer sicherstellt, dass diese App nicht eines Tages für andere Zwecke missbraucht wird. Denn „harmlos“ kann eine App nicht sein, die überwacht – auch wenn PolitikerInnen lieber von Kontrolle sprechen, was übrigens das Gleiche ist.
Man darf aber auch fragen, warum diese App von keiner heimischen Firma entwickelt wurde, sondern ausgerechnet von Accenture, einer der größten Beratungs- und Outsourcing-Firmen, die mehrfach international in die Kritik geraten ist, unter anderem weil sie zu interessanten Kostenabrechnungen neigen soll und laut Sicherheitsexperten vertrauliche Daten zumindest zeitweise ungeschützt aufbewahrt wurden.
Irgendwann muss man die Politik hinterfragen
Angenommen, wir schweigen auch dazu. Die neue Normalität besagt, dass wir auf unbestimmte Zeit Distanz wahren und Masken tragen. Man hat sich fast schon an den Anblick gewöhnt und die Modebranche ist mit allen erdenklichen Mustern und Farben aktiv geworden. Die Maske, die Individualität nimmt, bringt diese gestreift, gepunktet, geblümt oder mit Glitzer zurück. Das ist gut, solange man sich an diese vermeintliche Normalität nicht allzu sehr gewöhnt, denn sie ist nicht, was sie vorgibt zu sein.
Man braucht kein Weltverschwörer zu sein, um zunehmendes Unbehagen zu verspüren, wenn Zahlen beliebig durcheinandergeworfen werden und vorausgesetzt wird, dass man alles glaubt, was man an Informationen und Statistiken vorgesetzt bekommt, solange dies mit ernstem Ton oder dramatisch warnenden Worten vorgetragen werde. Wenn die vielzitierte Stichprobenstudie, die ein wesentlich kleineres Sample verwendete, als man versprochen hatte, zeigt, dass nur ein äußerst kleiner Teil der Bevölkerung infiziert ist (was nichts darüber sagt, wie viele bereits infiziert waren), dann wird die Herdenimmunität erst in einigen Jahren erreicht sein. Will man die Demokratie bis dahin partiell aussetzen?
Der Polizeistaat entsteht in kleinen Schritten
Es geht so schnell. Ein Gesetz hier, eine Verordnung dort. Man bemerkt es kaum. Plötzlich sind Freiheiten eingeschränkt, und es geht dabei nicht um die Diskussion, ob man einige Wochen lang aus Solidarität auf das Paragleiten oder Bergsteigen verzichten werden soll/muss oder möge, sondern um Bürgerrechte, die auf Dauer ausgesetzt werden und dies unser Zusammenleben verändert. Wenn ein Gesetz essentielle Freiheiten einschränkt, muss es zumindest Sinn ergeben und zeitlich so befristet sein, dass es gar nicht erst wie ein Normalzustand wirken darf.
Denn nichts ist mehr normal. Gesetze bringen in ihrem Vollzug nicht unbedingt die besten Seiten des Menschen hervor. Mancher Polizist wird überaktiv im Kontrollieren der Regeln (siehe die aktuelle Situation in Wien) und manch BürgerIn entdeckt das eigene Überwachungstalent. Nur zur Erinnerung: Vernaderung, die hatten wir schon und sie hat damals nur Leid gebracht.
Ein Polizeistaat existiert nicht nur aufgrund von Gesetzen, sondern insbesondere durch das Verhalten der BürgerInnen. Dazu gehört auch, hinter vorgehaltener Hand über das potenziell schuldhafte Verhalten anderer zu sprechen. Immer öfter hört man Sätze wie: „Sie hätte mir sagen müssen, dass sie eventuell krank ist.“ Da wird nicht nur vorausgesetzt, dass man etwas wissen muss, was man nicht wissen kann, sondern es wird etwas in den Rahmen von Schuld erhoben, was niemals Schuld sein kann: Das Covid-19-Virus in sich zu tragen mag schlimm sein, ist aber eben kein Verbrechen. Doch es wird plötzlich wie ein solches oder wie ein Makel behandelt, über den man nicht öffentlich sprechen darf. „Hast du schon gehört, die X hat Corona!“ Wenn die aktuellen Gesetze und Verordnungen solches Verhalten zur Normalität werden lassen, dann wird nicht eine Regierung sondern wir selbst die Demokratie abgeschafft haben.
Erschienen erstmals in: Dolomitenstadt