Krise folgt Krise, und noch immer agieren weitgehend dieselben Personen.
Zwei Jahre scheinen nicht viel. Und doch ist nahezu Unfassbares geschehen in dieser Zeit. April 2019, das war vor dem Inselvideo, es war vor der Expertenregierung und vor der ersten Bundeskanzlerin (ja, es gab auch positive Ereignisse), es war vor der Pandemie und vor zu vielen politischen Skandalen. Seitdem wird mehr über den Wert und den Status der österreichischen Demokratie diskutiert. Diese steht nicht mehr ganz so fest auf ihren Beinen. Ihr Rückgrat, die Bundesverfassung, verspürt starke Schmerzen. Ihre Bevölkerung ist müde der ewig gleichen Nachrichten und Politiker, wobei der Zorn zuweilen die Falschen trifft. Viel ist geschehen, doch wenn man in die Runde schaut, stellt man erstaunt fest: Die Bediensteten der Demokratie, die PolitikerInnen, sind großteils dieselben wie vorher.
Wie oft kann ein Landeshauptmann sagen, „wir haben keine Fehler gemacht“, wenn das Gegenteil keiner politischen Meinung entspringt, sondern aktenkundig ist? Wie kann ein Bundeskanzler den dritten Koalitionspartner der Lächerlichkeit preisgeben, um von eigenen Gesetzeskonflikten abzulenken, und doch noch relativ gute Umfragewerte haben? Wie kann ein Bürgermeister soviel „Dankbarkeit“ (= Abhängigkeit) erzeugen, dass sich nicht einmal mehr ein/e GegenkandidatIn findet? Und wie können sich andere an der Macht halten, indem sie unsichtbar werden und nichts mehr tun, was ihrem Amt entspräche?
Politiker sollte kein langfristiger Job sein
Politik ist gewiss kein einfacher Beruf, doch die Demokratie braucht Menschen, die idealistisch sind, mit frischen Gedanken aufwarten und die Energie besitzen, sich für ihre Ideen einzusetzen, ohne an den persönlichen Vorteil zu denken. Es gibt diese Personen, und zwar mehr von ihnen, als das politische Establishment wahrnehmen will. Die politischen Parteien machen es allerdings nahezu unmöglich, dass junge Menschen mit solchen Eigenschaften in verantwortungsvolle Ämter kommen, weil immer irgendwer vorher zu bedienen sei, der oder die jahrelang – ja, was eigentlich? – getan habe. Auch der aktuelle Bundeskanzler ist trotz damaliger Jugend nicht überraschend, sondern langfristig vorbereitet dort gelandet, wo er heute tut, was er so tut.
Immer wieder landen trotzdem Menschen in der Politik, die versuchen, etwas anders zu machen, näher an der Bevölkerung und ihrer Realität zu sein. Einer davon ist nun aufgrund der Pandemie erschöpft, vielleicht mehr als der Durchschnitt. Während man ihm nur alles Gute wünschen kann, gleichgültig welchem politischen Lager oder Nicht-Lager man selbst angehört, ist das andere Phänomen markanter: Viele sind dieselben wie vor „Ibiza“. Die Frage ist daher, wie Menschen dieser Branche auf die Idee kommen, dass Politiker ein Job bis zur Pension sei.
Es ist unmenschlich, Kraft über viele Jahre zu verlangen
Das Gegenteil ist der Fall. In vielen Berufen ist klar, dass man nur für eine gewisse Zeit die eigene Kreativität sowie Kraft behält und es dann Zeit für einen Wechsel ist, sonst schadet man der Firma, der Institution, vor allem der eigenen Gesundheit. Nur Ausnahmen bringen nach Jahren noch die Energie auf, sich so einzusetzen wie zu Beginn.
Zwei Legislaturperioden oder Durchgänge sind daher der Idealfall. Im ersten ist man voller Energie, hat große Pläne und lernt, wie schwer es in der Verstrickung von Föderalismus, Bünden, Interessensgemeinschaften und Parteikalkül ist. In der zweiten Periode versteht man die Umsetzung der eigenen Pläne. Welche Politikerin und welcher Politiker aber ist nach zwei Perioden nicht müde, gelangweilt, selbstzentriert? Es ist unmenschlich, von jemandem zu verlangen, seine Kraft für die Gemeinschaft uneingeschränkt über lange Zeiträume aufzubringen. Es ist ebenso unklug, diese Chance nicht Neuen zu geben, die dies voller Leidenschaft und frischer Energie versuchen möchten.
Demokratie ist stärker als Angst
Noch immer findet Staatsstreiche oder Wahlfälschung statt und bedrohen Menschenleben, doch in Österreich ist man in der glücklichen Lage, selbst nicht anders betroffen zu sein, als die Nachrichten mit Fassungslosigkeit oder Trauer wahrzunehmen. Die Gefahr für die Demokratie in Österreich hingegen ist die Gewohnheit, gepaart mit Gleichgültigkeit und Schlampigkeit. Das reicht von der Tendenz – auch von Politikern – Gesetze als Empfehlung misszuverstehen, bis zur österreichischen Neigung zum Schlampertsein, die im Alltag sympathisch sein mag, aber gefährlich wird, wenn sie Nepotismus und den Eingriff in die Justiz betrifft. Nicht weniger schlimm wird es, wenn jene, die jahrelang in einem Job gepatzt haben, ins nächste politische Amt weggelobt werden. Auch das gibt es nicht nur in Österreich und definitiv nicht nur im Bund.
Aber es existieren immer wieder Zeitfenster in der Politik. Die Idee, dass Krisen zusammenschweißen, gleicht eher einem Filmmärchen als der Realität. Daher ist es nun Zeit für einen Generationswandel, der einerseits mit Alter und andererseits mit Kraft und Unbescholtenheit zu tun hat. Demokratie kann viel ertragen und Vieles sein, in jedem Fall braucht sie Menschen, die sich engagieren wollen, wenn möglich ein wenig uneigennütziger, als es andere vor ihnen getan haben. Das kann man ruhig als Aufruf verstehen, sich zu melden, in die Politik zu gehen und jene abzulösen, deren Kraft und Zauber verbraucht ist. Es mag nicht leicht werden, aber Demokratie ist stärker als Angst.
Zunächst erschienen auf: Dolomitenstadt