Fake-News und die EU: Politisches Mittel für kurzfristigen Gewinn

Der Kampf gegen Fake-News scheitert bisher an einem Problem: Das Spiel mit Emotionen passt zu Neid und Masochismus

 

Jean-Claude Juncker hat Fake-News den Kampf angesagt, da schon länger vermutet wird, dass im Wahlkampf um das Europäische Parlament mit Verkürzungen und Unwahrheiten von EU-internen und -externen Akteuren zu rechnen ist (Artikel: EU-Wahl: Diplomatischer Dienst erwartet Cyberangriffe und Fake-News). Diese könnten das Wahlergebnis beeinflussen und die Stimmung generell EU-skeptischer machen. Dem, so Juncker, müsse man entgegentreten – und genau darum wolle er sich selbst ab sofort kümmern (Artikel: Juncker will gegen Fake-News vorgehen).

Das sehr spät kommende Vorhaben ist ehrenwert – und zum Scheitern verurteilt, wenn keine neuen Strategien gefunden werden, denn mit dem Hinweis auf wahr und falsch lassen sich Falschmeldungen nicht berichtigen. Auch die Diskreditierung des Botschaftssenders stützt diese meist, weil sie als Bestätigung seiner „Wahrheiten“ betrachtet werden will. Allerdings lässt sich genau an diesem Wollen ansetzen. Im Erkennen, warum Menschen etwas so sehen möchten, wie es die Fake-News beschreiben, liegt der Schlüssel.

Das Geheimnis für den Erfolg von Fake-News liegt nämlich weniger in ihren Aussagen als im intensiven Gebrauch von Emotion und der Behauptung, gegen die Unwahrheiten „der anderen“ anzutreten. So betont Victor Orbán nicht nur, dass Jean-Claude Juncker als Präsident der Kommission die EU spalte, sondern dass er selbst, Orbán, der Einzige sei, der den Mut habe, gegen Juncker zu argumentieren.

Die Unwahrheit wird so mit einer zweiten Unwahrheit bestätigt und zur Wahrheit erklärt. Genau darin liegt der Haken: Lügen können sich im Auge des Betrachters zur gefühlten Wahrheit wandeln, wenn die richtige Emotion getroffen wird. Nicht selten ist diese Empfindung eine Paarung von Neid und Masochismus. Wenn etwa in Ulli Gladiks neuem Dokumentarfilm „Inland“ ein Protagonist, der bereits alles verloren hat, sagt, er würde lieber noch schlechter leben, wenn es dafür auch den Flüchtlingen schlechter ginge, dann weiß man, wozu Fake-News fähig sind.

Es geht nicht darum, die „Probleme des kleinen Mannes“ zu verstehen, weil solch ein Ansatz an sich bereits eine Beleidigung ist und das Unverständnis für dessen Probleme ausdrückt. Vielmehr steht man vor der Herausforderung, die Emotionen und Bedürfnisse der Bevölkerung tatsächlich begreifen zu wollen – und diese in der Folge konkret anzusprechen. Mit dem moralischen Ansatz, dass die Europäische Union wichtig, gut und ein Friedensprojekt ist, gewinnt man keine Wahlen mehr. Nachzufragen, welches Europa die Menschen gerne hätten und warum sie dieses möchten, wäre der effektivere Weg – sofern das auch vernünftig umgesetzt wird. Erstaunlich, dass dies in demokratischen Systemen so selten begriffen wird.

Für den aktuellen EU-Wahlkampf ist es bereits recht spät. Es zumindest zu versuchen ist dennoch ein Ansatz, denn jene, die Fake-News verbreiten, nützen lediglich die Oberfläche der Emotionen. Neid und Masochismus dienen bloß als Ersatzgefühle für tiefer liegende Bedürfnisse in der Bevölkerung. Auch wenn es derzeit kaum üblich ist, ist es gar nicht so schwer, sich hinzusetzen und zuzuhören, wie diese aussehen, anstatt immer neue kurzfristige Lösungen suchen zu müssen.

Und wenn man schon dabei ist, die Dinge bei ihrem Namen zu nennen, könnte man auch aufhören, von Fake-News zu sprechen, denn es handelt sich ganz konkret um Unwahrheiten. Der Begriff Fake-News drückt nur jenes Kleinreden aus, das wieder so tut, als wisse man es besser als jene, die daran glauben.

Erstmals erschienen in: Der Standard