Zufälle in der Politik sind meist gut vorbereitet. Das zeigen uns Kickl und Kurz.
Zufälle gibt es nicht, heißt es. In der Politik kann man sie nahezu ausschließen. Meist stecken lange Planung und Kalkül dahinter, manchmal bloß schnelle Reaktion, wenn ein politischer Feind oder man selbst gerade schwächelt. Ablenkung ist dann ein wichtiges Motiv, Themenbesetzung ein anderes und wenn man einen Sündenbock (er)findet und dafür sorgen kann, dass sich die Meldung weit verbreitet, hat man halb gewonnen.
Ein Meister dessen war schon immer Herbert Kickl, früher als Stichwortgeber im Hintergrund der FPÖ, heute so laut als möglich, am liebsten als Redner bei einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen. Er kann damit nicht nur brachiale Anti-Regierungspolitik betreiben, sondern kommt endlich wieder in den Medien vor – sogar mit Bild, was nach all den Skandalen rund um den Ex-Parteifreund „Wie-hieß-er-nochmal?“ Strache wohltuend ist; zudem wichtig dafür, politisches Kapital aus der aktuellen Lage zu schlagen.
Die Rache des Herrn Kickl
Kickl investiert momentan all sein Denken, Agieren und seine Verbindungen in den Kampf um Wählerstimmen. Vielleicht empfindet er es sogar als belustigend, dafür Verschwörungstheorien zu verbreiten, der Regierung vorzuwerfen, sie lüge, und selbst recht tief in die Schmutzkiste zu greifen. Noch werden für die schlimmsten antisemitischen Statements AfD-Politiker ins Land geholt, doch der Grundtenor ist generell judenfeindlich, gesellschaftsspaltend, anti-wissenschaftlich und in der Folge technikfeindlich in einem Ausmaß, dass es nur noch verwundern kann.
Ein wenig mögen diese Demonstrationen für Kickl die späte Rache am ehemaligen Koalitionspartner und an Amtsnachfolger Karl Nehammer sein. Dieser steht als Innenminister vor dem Problem, die Herausforderung nur so lösen zu können, dass er sich rundum unbeliebt macht. Wie etwa soll das Demonstrationsdilemma gelöst werden? Der Bevölkerung steht das Recht zu, auf der Straße ihren Willen zu äußern, auch lautstark. Gleichzeitig sind die Pandemieverordnungen zu verteidigen und zudem werden diese Demonstrationen von der FPÖ und den Identitären mit viel Aufwand politisch missbraucht. Motto: Wenn’s der Regierung schadet, wird es uns schon nützen.
Bei Demonstrationen das Kleingedruckte lesen
Kickl zeigt da seinen Instinkt für Themen und Forderungen, solange er keine andere Verantwortung hat als die, der Partei Stimmen zu bringen. Man kann davon ausgehen, dass Norbert Hofer manchmal übel wird, doch hat er weder die Kraft noch den Mut (oder Willen), Kickl zurückzupfeifen. Immerhin könnte das Spiel aufgehen und die FPÖ dadurch WählerInnen zurückgewinnen. Zufällig ist daher nichts am Kapern der Demonstrationen. Wer mitmarschiert, sollte das wissen.
Widerlich ist es, weil der Großteil der Menschen aus Verzweiflung, Unmut und aus Mangel an anderen Möglichkeiten für die Willensbekundung an den Demonstrationen mitgeht. Es ist ihr Recht. Zwar sollte man auch bei einer Demonstration stets das Kleingedruckte lesen, doch in Zeiten von Social Media anstatt gedruckter Demo-Folder, ist kaum mehr feststellbar, wer eine Demonstration angemeldet hat und damit für ihre Inhalte verantwortlich ist. Auch das: kein Zufall, sondern Berechnung.
Ablenkung auch innerhalb der Regierung
Das System der Ablenkung beherrscht auch Bundeskanzler Kurz. Er weiß, dadurch ist es ihm schon einige Male gelungen, Krisen in den Hintergrund zu drängen. Finanzminister Blümel etwa gilt aufgrund der aktuellen Umstände als nahezu handlungsunfähig. Nehammer ist beschäftigt und der Kanzler zunehmender Kritik, nicht zuletzt dafür, unempathisch zu sein, ausgesetzt. Er muss handeln und da kommt ein Zufall gerade recht.
Der grüne Gesundheitsminister Anschober fällt einige Tage wegen einer Erkrankung aus und schon greift der Bundeskanzler Personen aus dem Gesundheitsministerium persönlich an, fordert ihren Rücktritt und unterstellt, dass dem Koalitionspartner die Kontrolle verloren gegangen sei – personell wie inhaltlich. Damit tut er so, als wären alle unliebsamen Entscheidungen rund um die Pandemie nur vom Gesundheitsministerium ausgegangen.
Die kleine Rute für den kleinen Koalitionspartner
Dem Koalitionspartner stellt er damit eine Warnung ans Krankenbett. Man möge nicht so vorlaut sein, besonders nicht im Ibiza-Ausschuss. Und weil es immer gut ist, den Gegner außen zu verorten, bekommt auch die EU ihre Kritik ab, so deutlich, dass ausgerechnet der als EU-kritisch bekannte und vorhin erwähnte Themenfinder Kickl dem Bundeskanzler EU-Feindlichkeit vorhält.
All das wieder kein Zufall, doch die Medien greifen es gerne auf. Sofort wird das potentielle Ende der Koalition debattiert. Ob Kurz einen dritten Koalitionsbruch politisch überleben würde? Ob eine ÖVP-Obmanndebatte bevorsteht? Das ist besonders lustig, denn wen gäbe es denn als potentiellen Nachfolger? Dass die Tiroler ihren Herrn „Wir haben alles richtig gemacht“ auf diese Weise nach Wien loswerden, ist auszuschließen. Auch sonst dürfte Kurz nicht zuletzt aus Mangel an Bereitschaft und Alternativen fest im Sattel sitzen. Auch wenn ihm Herr Kickl – auch nicht zufällig – gerne das Pferd darunter wegziehen würde.
Zunächst erschienen auf: Dolomitenstadt