Daniela Ingruber: Sie haben kürzlich bei einer Konferenz an der Landesverteidigungsakademie ein recht düsteres Bild gemalt, was Extremismus und Terrorismus betrifft. Seitdem hat die Hamas mit den bekannten Anschlägen einen neuen Krieg im Nahen Osten entfacht. Welche Folgen hat das für andere terroristische Organisationen?
Nicolas Stockhammer: Das hat beflügelnde Folgen, und das auch ideologiespektrenübergreifend. Wir haben gesehen, dass der Krieg gegen die Ukraine sogar islamistische Akteure auf den Plan gerufen hat – Stichwort Tschetschenen, Kadyrow etc. Wir sehen weiters, wie Rechtsextremisten die aktuelle Hamas-Thematik aufgreifen und stark für ihre Zwecke verwenden. Verschwörungsmythiker, wie wir sie nennen, und Staatsleugner – wir haben mittlerweile ein buntes Exerzierfeld an Extremismen und die Krisen befeuern das.
Ich würde aus Sicht der Demokratieforschung gerne widersprechen, aber aus dieser Perspektive ist es ähnlich zu beurteilen.
Immer wenn Demokratien schwächeln oder ein Vakuum hinterlassen wird, profitieren die Extremisten. Das sieht man derzeit sehr stark, gerade auch in einigen Regionen Deutschlands, wo sich Menschen zurückgelassen und abgehängt fühlen. Da blüht der Rechtsextremismus auf.
Worauf muss Europa derzeit besonders achten? Kann man überhaupt etwas tun?
Man könnte strukturell viel tun, aber das braucht Zeit, ist anstrengend und schwierig. Man müsste – das klingt ein wenig abgedroschen – die Mitte wieder stärken, populärer machen, auch durch Narrative, die besagen, dass es uns immer dann am besten gegangen ist, wenn wir uns irgendwie getroffen und die Polarisierung hintangestellt haben. Es hat immer Phasen des Auseinanderdriftens, der Proteste und der Uneinigkeit gegeben, aber es gab zudem etwas, was jetzt in Israel zu beobachten ist, einen Kompromiss der Staatsräson nach dem Motto: „Ok, wir sind zwar unterschiedlicher Meinung, aber wenn es um das große Ganze oder um die Existenz unseres Staates geht, dann müssen wir uns halt zusammentun.“ Und ich glaube, dass das seit der Pandemie abhandengekommen ist. Man sieht das interessanterweise ganz stark in den USA, wo Nachbarn nicht mehr miteinander reden, weil der eine Republikaner ist und der andere Demokrat. Der Graben ist mittlerweile sehr tief.
Sie haben einen neuen Masterlehrgang an der UWK entwickelt: Counterterrorism, CVE & Intelligence. Wenn ich das Programm richtig verstehe, geht es genau darum, Menschen auszubilden, die bereits vorweg etwas dagegen tun können. Wen genau sprechen Sie als potenzielle Studierende an?
Wir wollen möglichst viele Menschen ansprechen, auch aus sozialen Berufen. Es sollen nicht nur Leute aus den Nachrichtendiensten zu uns kommen, weil man sich sonst immer nur selbst bestätigt und repetiert, sondern wir wollen einen offenen Zufluss aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. Wir haben auch Studierende mit absolvierter Promotion, was das wissenschaftliche Niveau hebt. Wir möchten eine gute heterogene Gruppe erzeugen, die sich ergänzt und die komplementär wirkt.
Es handelt sich um den ersten solchen Lehrgang im deutschsprachigen Raum.
Ja, der Anspruch war, dass wir etwas generieren, das in dieser Form neuartig ist, und ich bin zuversichtlich, dass wir da eine Brand schaffen können.
Man kann mit diesem Lehrgang dann in den verschiedensten Berufen tätig sein; quer durch die Gesellschaft?
Natürlich ist das Themenfeld nicht unendlich zu erweitern, aber es gibt die Möglichkeit, dass jemand in der Prävention tätig ist und dort nichts oder nur indirekt mit dem nachrichtendienstlichen Thema oder mit Terrorismusbekämpfung zu tun hat. Auf der anderen Seite ist es möglich, dass wir Personen ausbilden, die dann im Nachrichtendienst tätig sind, aber nicht notwendigerweise mit dem Präventionsthema zu tun haben. Früher gab es das Dilemma, dass man nicht miteinander geredet hat. Das zeigte sich auch beim Terroranschlag von Wien. Mittlerweile gibt es eine Bewusstseinsänderung und diese ist uns wichtig.
Wir haben ein hochgradiges Teilnehmerinnenfeld, durchaus auch aus dem Nachrichtendienst, aus verschiedenen Ländern, aus der EU-Kommission. Ich will, dass jeder alles einmal gehört hat. Früher dachte man: „Ich habe damit nie etwas zu tun gehabt“, und deswegen war es fremd. So aber kann man sagen: „Ach ja, ist vielleicht doch nicht so dumm, was die Prävention hier vorsieht. Vielleicht kann ich das verwenden und so einen anderen Weg beschreiben.“
Und besser zusammenarbeiten.
Genau, dass sie eine Community generieren, die übergreifend miteinander vernetzt ist, nach Deutschland, in die Schweiz, nach Luxemburg. Und dass wir in Österreich eine Vernetzung bewerkstelligen. Das ist die Voraussetzung.
Am Ende sei noch das aktuelle und sehr empfehlenswerte Buch von Nicolas Stockhammer erwähnt: