Hinter Plexiglas wohnt nur Distanz, kein glaubwürdiges Gefühl.
Glaubwürdigkeit hat in der Politik viel mit Bildern zu tun. Kein Wahlkampf ohne das Bad in der Menge, keine Naturkatastrophe ohne die Aufnahmen von Politikern, die sich vor Ort informieren und den Menschen Mut zusprechen. Kein Auftritt ohne vielfaches Händeschütteln, kein Krieg ohne Auftritte vor den Soldaten. Wahlkampf in einer Fabrik, auf dem Markt; nicht umsonst bewegen sich die Royals gerne in Altersheimen und Kindergärten. Heute bleibt nur eine vage Erinnerung. Politiker können eines der wesentlichsten Mittel in der Kommunikation mit der Bevölkerung nicht in Anspruch nehmen: Das Bild in der Menge, das unterstreichen soll, ich bin eine/r von euch.
Die viel zu häufigen Pressekonferenzen der Regierung sowie der Opposition lassen sich auch dadurch erklären. Wenn schon kein Bild mit Menschen, dann wenigstens irgendein Bild, um im Gedächtnis zu bleiben. Das Erscheinen hinter Plexiglas allerdings – so pandemiesinnvoll es auch ist – verstärkt die Distanz.
Ohne Bilder sind politische Botschaften kaum zu vermitteln
Bei den Erklärungen zum neuerlichen Lockdown war dies den Regierungsmitgliedern offensichtlich bewusst. Sie griffen auf die ihnen eigenen Mittel zurück, um die Distanz auszugleichen. Bundeskanzler Kurz tat dies mit Handbewegungen, die bedeuten wollten, ich nehme euch zu mir; Vizekanzler Kogler übte sich wie meist in volksnaher Sprache, Gesundheitsminister Anschober war einmal mehr darauf bedacht, zu erklären, nochmals zu erklären und auf das Wir zu pochen. Innenminister Nehammer brach das Problem auf die eigene Familie runter, sprach von Distanz zu seinen Eltern, von Nähe, die er vermisst. Doch das fehlende Bild nahm der Erzählung die Echtheit. Hinter Plexiglas wohnt nur Distanz, kein glaubwürdiges Gefühl.
Regierende in Abwesenheit haben ein Problem mit der Bevölkerung. Das wussten Herrscher bereits vor Jahrhunderten und gaben sich immer wieder volksnah oder in der Menge jener, deren Unterstützung sie brauchten. Opulente Feste am Hof dienten nie nur der Diplomatie, sondern auch der Versicherung, dass man als Geladener Teil des Bildes war. Dabei brauchten immer schon die Herrschenden solche Bilder viel dringender als die Bevölkerung. Gemälde von Königen in der Schlacht, tapfer umgeben von Soldaten, zeugen nicht zuletzt auch davon.
Politik verlangt Bilder, die Nähe vermitteln
Im Faschismus wurde das Foto der Masse zum politischen Motiv. Die Aufnahmen Leni Riefenstahls von Adolf Hitler sind bei all ihrer widerlichen Propaganda bis heute perfekte Beispiele für die Umsetzung, wie Politiker in der Masse wirken können. Donald Trump und seinem Team war diese Wirkung – ohne jegliche politische Nähe – bewusst. So unverständlich seine Massenveranstaltungen der letzten Monate aus gesundheitlicher Sicht waren, so bitter nötig hatte er sie, weil seine Botschaft ohne Jubel glanzlos wirkte. Dass Trump ausgerechnet an dem Tag, an dem er seine Niederlage einzugestehen begann, seinen Anhängern bloß noch aus dem Auto zuwinkte und damit kein Bild in der Masse mehr möglich war, unterstreicht die Einsamkeit des Machtverlusts.
Es mögen zunächst nur fehlende Fotographien sein, tatsächlich steckt viel mehr dahinter: Politiker ohne Volk vermitteln ein Image des Abgehoben-Seins. Als hätten sie den Kontakt zur Bevölkerung und damit das Verständnis für deren Sorgen, Nöte und Bedürfnisse verloren. Diesen Vorwurf gibt es zwar schon immer, doch wenn zudem die Bilder Abgeschiedenheit vermitteln und die Gesichter der Regierenden fehlen, weil sie hinter Maske oder unscharf hinter Plexiglas verschwinden, wird es schwierig, das Vertrauen aufrecht zu halten. Man möchte jenen ins Gesicht sehen, die einem die Freiheit rauben. Ohne Bild der Nähe begegnet man einander nicht einmal mehr in inszenierter Abfolge, sondern man lebt in getrennten Welten, in der Dystopie der Demokratie.
Zunächst erschienen auf: Dolomitenstadt