Das Parteiensystem und die Treue der Bevölkerung fördern die Korruption.
Niemand sagt, Politik sei einfach. Niemand kann verlangen, dass Politiker keine Fehler machen. Man kann nicht alles vorhersehen. Man kann das Beste wollen und dabei falsch entscheiden. Man kann einmal schlecht beraten werden oder auf die falsche Person hören. All das passiert, und wenn es passiert, entschuldigt man sich – siehe Angela Merkel. Oder man tritt zurück und gibt anderen eine Chance, es vielleicht besser zu machen – siehe Ulrike Lunacek.
All das setzt voraus, dass man sich selbst nicht so wichtig nimmt wie das Amt, das man aufgrund von Wahlen für einige Zeit geliehen bekommen hat. Es setzt weiters voraus, dass man begreift, dass einem die Bevölkerung nicht nur dieses Amt geliehen hat, sondern auch viel Geld dafür investiert, dass man sich in ihrem Namen und für sie einsetzt.
Alles für die liebe Familie
Man kann und soll daher dem Bundeskanzler und seinem Team einen Vorwurf daraus machen, falls sie sich nur für sich selbst und den Machterhalt der „Familie“ interessieren und dann ihre Absprachen selbstsicher auch noch in Chats festhalten, sodass man als Bürgerin oder Bürger neben dem politischen Schaden auch hinnehmen muss, eines Tages all die Bussi-Smileys zu sehen und sich dafür zu schämen, dass das die Regierung ist, die man sich leistet.
Das dahintersteckende Prinzip allerdings ist keine kleine Gruppe, die gerne gut aussieht und sich in ihrer Rolle gefällt, sondern es ist das Parteiensystem, das es zulässt, dass Menschen noch in der Schulzeit in die Politik einsteigen – was prinzipiell nicht böse ist – und dort früh erfahren, dass es immer nur nach oben geht, solange man auf „die Familie“ hört und dieser dient – was politisch sehr wohl böse ist – weil es dann immer einen gibt, den man kennt, wenn man ihn braucht, und sich daran gewöhnt, dass es so läuft.
Fehlendes Unrechtsbewusstsein in einem veralteten System
Das Parteiensystem fördert auf diese Weise Korruption, weil man das Unrechtsbewusstsein verliert, wenn man ständig kleine Gefallen tut oder erhält, so abstimmt, wie man es eingeflüstert bekommt oder dem einen Posten gibt, der besonders „steuerbar“ scheint. Es ginge auch anders. Jeder Politiker sollte einen Job erlernen und ihn auch ausüben, um die Realität kennenzulernen. Ein soziales Jahr oder etwas Gleichwertiges, ehe man in die Politik einsteigt, wäre vernünftig. Jede/r PolitikerIn sollte lernen, die Verfassung zu begreifen, den Parlamentarismus zu achten, und erfahren, dass es nicht gottgegeben ist, dass die eigene Partei Macht besitzt. Diese Macht nämlich ist keineswegs demokratiepolitisch legitimiert, sie ist nur ersessen und sie führt zu mehr und mehr Missbrauch, weil es irgendwann normal scheint, „Familienmitglieder“ dorthin zu setzen, wo man gerne seine Interessen vertreten hätte. In manchen Kreisen nennt man solche Sprache und Struktur mafiös.
Und wenn sich jemand darüber aufregt, heißt es tatsächlich: „Aber die anderen machen das auch.“ In welchem Kindergarten leben wir, wo der Franzi dem Toni ein Spielzeugauto wegnimmt, und deswegen der Toni der Anna die Puppe nehmen darf? Wie erwachsen ist es, wenn ein Politiker, dessen Chatprotokolle soeben veröffentlicht wurden und belegen, dass er gelogen hat, sagt, er werde sich das nicht gefallen lassen?
Schämen für Politiker, denen die Scham fehlt
Wenn man Österreich vor der EU lächerlich macht, indem man dort das gleiche Spiel treibt – „Der Auer hat uns zuwenig Impfstoff bestellt, wir haben nichts davon gewusst und deshalb müsst ihr alle mit uns solidarisch sein, wir aber werden im Gegenzug nicht solidarisch sein“ – dann ist man als Bürgerin hin und hergerissen zwischen Scham und Verwunderung darüber, was alles möglich ist.
Zu argumentieren, die anderen machen es auch nicht besser, ist ebenfalls billige Ablenkung. Man darf sagen, dass es genug ist und man darf und muss verlangen, dass Politiker das tun, wofür sie gewählt wurden: Arbeiten, und zwar für die Bevölkerung und nicht im ständigen Vorwahlkampf und für die Postenbesetzung im eigenen Sinne.
Im Dienste der Bevölkerung
Selbstverständlich ist die Bevölkerung nicht unschuldig daran. Kurz, Blümel und ähnliche politische Charaktere in den Bundesländern, den Städten, in staatlichen Institutionen und in anderen Parteien sind nur deshalb als Phänomen möglich, weil man es gewohnt ist, sich im Notfall an jemanden zu wenden, den man kennt. Und es gibt immer jemanden, von dem man etwas braucht. Umlernen müsste man, dass man keinem Politiker etwas schuldig ist, sondern dass bezahlte Mandatare die Aufgabe haben zu dienen. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Bürgermeister, Landtagsabgeordnete oder Bundeskanzler zu sein, ist eine Ehre und es ist ein bezahlter Servicejob, bei dem man viele Chefs hat: die Bevölkerung.
Es wäre schön, wenn sich umgekehrt die Bevölkerung daran erinnerte, dass man zwar Respekt haben sollte, vor PolitikerInnen wie vor jedem anderen Menschen – das ist eine der Grundbedingungen für ein friedliches und demokratisches Miteinander – dass man aber nicht demütig dankbar sein und jemanden wieder wählen muss.
Zunächst erschienen auf: Dolomitenstadt