Steigende Wut führt selten zu Gutem

Nicht nur die Regierung muss jetzt handeln, sondern auch die Bevölkerung

 

Schuld ist im Volksmund immer die Politik. Mal ist sie an sich böse, mal gelten die PolitikerInnen als unfähig, ein anderes Mal sind es dunkle Mächte sowie Großunternehmer, denen die Regierenden ausgeliefert sind oder sich willfährig unterwerfen. Die Erzählungen dazu variieren. Das Opfer hingegen ist stets klar: die Bevölkerung.

Da Österreich keine Protestgeschichte mit rebellischen Usancen besitzt, sind die Stammtische sowie die digitalen Medien jene Orte, wo sich der Ärger am leichtesten ausleben lässt. Hier kann ungebremst geschimpft, aber auch über die Situation gelacht werden. Man kann die eigene Ohnmacht ebenso beklagen, wie die Allmacht der anderen.

Schimpfen als Konfliktbearbeitung

Das mag feige klingen, doch hat es reinigende Wirkung. Dampf abzulassen bildet einen wesentlichen Schritt von Konfliktbearbeitungsstrategien. Es ist ein Schritt von vielen und die meisten sind nicht besonders kompliziert. Erstaunlich wirkt derzeit nur, wie wenig von offizieller Seite auf Konflikttransformation zugegriffen wird. Dabei müssten alle Alarmglocken schrillen, denn es zeichnet sich ab: Das Schimpfen am Stammtisch könnte bald zuwenig wirksam sein. Acht Monate, in denen alles dem einen Thema unterworfen wurde. Das hat Folgen für die Wirtschaft, die Demokratie, die Psyche.

Ein Teil der Bevölkerung zieht sich völlig zurück in die Angst vor Ansteckung, vor Jobverlust, Verarmung und vor der Zukunft. Ein anderer Teil wird zunehmend zornig und hat das Wesentliche verloren, das eine Demokratie zusammenhält: das Vertrauen darin, dass jene, die Maßnahmen treffen und verlautbaren, das Beste für die Bevölkerung versuchen. Gemeint sind damit Politik, Medien sowie internationale Organisationen.

Die Regierung kann etwas tun

Steigende Wut in der Bevölkerung gehört zu den verstörendsten politischen Entwicklungen und führt selten zu Gutem. Die Regierung müsste das wissen. Ständig neue Einschränkungen in den Alltag zu verkünden, ohne einen Plan, der weiter geht als ein paar Tage, muss zu Vertrauensverlust, Zorn oder Abwendung führen. Dass seit Kurzem auch die Landesregierungen unterschiedlich agieren und dabei ebensowenig erklären, bringt zusätzliche Verwirrung und viel Unverständnis mit sich. So bleibt Raum für Gerüchte über längst geplante Lockdowns, über DNA-Sammlung, die eigentlich hinter den Coronatests stecke und über Zwangsimpfungen, die uns alle in kleine Dummies oder Reptilien verwandeln sollen. Die Gerüchte verbreiten sich schneller als die Pandemie, und mit ihnen unterschwellige, verständliche Aggression.

Dieser negativen Stimmung wäre die Regierung nicht ausgeliefert. Sie könnte langsam aufhören, die BürgerInnen wie kleine Kinder zu behandeln. Denn dies, so weiß jeder Pädagoge, führt zu Trotz. Trotzreaktionen wiederum schalten die Vernunft aus – auch zum eigenen Schaden. Das ist in Zeiten steigender Infektionszahlen wenig sinnvoll.

Das Bild des Unvorbereitetseins umdrehen

So gesehen ist das Drama nicht das Eintreten der Vorhersage einer zweiten Welle, sondern das Bild des Unvorbereitetseins, das die Bundesregierung ebenso wie einige Landesregierungen demonstrieren. Nicht zuletzt deswegen steigt die Corona-Müdigkeit der Bevölkerung so, dass die Macht der Verordnungen wankt.

Es bleibt offensichtlich, dass zumindest Teile der Regierung(en) bemüht sind, diese Phase im Sinne des Landes und der Bevölkerung zu bewältigen, während ebenso sichtbar wird, dass die Krise auch benützt wird. Das geht von zunehmender Überwachung bis zur langsamen Gewöhnung an eine dystopische Demokratie, in der Kommunikation nur noch von oben nach unten funktioniert und den BürgerInnen lediglich das Hinnehmen und Gehorchen bleiben.

Was die Bevölkerung tun kann

Für die Bevölkerung sollte das heißen, Eigenverantwortung auf andere Art zu übernehmen, als sie derzeit diskutiert wird. Weil Eigenverantwortung ist nicht nur die Entscheidung, ob ich eine Maske tragen will oder nicht. Vielmehr bedeutet sie, gegen den eigenen Trotz anzukämpfen und mitzudenken.

Aggression gegen die Regierung und gegeneinander hilft nicht, sondern Solidarität mit denen, die ihre Kraft verlieren, die psychisch nicht mehr weiterwissen oder finanziell am Ende sind. Man kann regional einkaufen, man kann seine Mitmenschen fragen, wie es ihnen geht und man kann von seinen politischen VertreterInnen (im Parlament ebenso wie in Institutionen) verlangen, dass sie sich aus der Abhängigkeit ihrer Zuflüsterer bewegen, um die notwendigen Maßnahmen so zu entwickeln, dass sie jene schützen, die wirklich Schutz brauchen und dafür nicht das gesamte Land und darüber hinaus zu Gefangenen ohne Hoffnung machen.

 

Zunächst erschienen auf: Dolomitenstadt