Undemokratische Demokratie

Wenn Demokratie die Bevölkerung ausschließt, zerstört sie sich selbst.

 

Ein kluger Wiener Politiker sagte kürzlich, dass er sich nicht vor der Politikverdrossenheit der Bevölkerung fürchte und gar nicht an sie glaube, was ihm aber Sorgen bereite, sei die Entscheidungsverdrossenheit der Menschen. Er meinte damit keineswegs, dass sich die Bevölkerung vor eigenen Entscheidungen fürchte, sondern dass politische Entscheidungen nicht ausreichend erklärt würden, sodass es bei der Bevölkerung so ankäme, als würde über ihre Köpfe hinweg entschieden.

Demokratie bedeutet keineswegs, dass immer alles so geht, wie es sich die Bevölkerung vorstellt. Eine gute Demokratie aber braucht es, dass Beschlüsse erläutert und die Hintergründe transparent gemacht werden. Das verlangt auch die politische Vernunft.

Sich intensiv an einer Bürgerinitiative zu beteiligen – so der Gemeinderat und Landtagsabgeordnete weiter – sei nicht automatisch die Versicherung, dass das Engagement mit einer positiven Entscheidung belohnt werde, weil PolitikerInnen manchmal trotzdem anders entscheiden. Er hat recht, wenn er sagt, dass auch das Demokratie ist, obwohl es nicht demokratisch ist.

Demokratie schließt zu oft aus

Jener grüne Politiker wollte damit aufzeigen, dass Demokratie zulässt, dass Menschen ausgeschlossen werden – Männer etwa haben über viele Jahre (in der Schweiz besonders lange) mit allen demokratischen Mitteln dafür gesorgt, dass Frauen nicht wählen durften. Heute wird ebenso mit demokratischen Entscheidungen dafür gesorgt, dass sehr viele Menschen, die in Österreich leben, bei einem Großteil der Wahlen ausgeschlossen bleiben. Auch wenn die dahinterliegenden Prozesse der Demokratie entsprechen, ist deren Resultat undemokratisch.

Gefährlich für die Demokratie wird es dort, wo die Bevölkerung ganz ausgegrenzt wird. Während manche Gemeinde aktuell in Sporthallen ausweicht, um der Bevölkerung das Recht auf Zeugenschaft bei Sitzungen weiterhin zu ermöglichen, nützen andere die Chance des Ausschlusses. Sich hinter Plexiglas zu verstecken, kann derzeit zwar Vorbildwirkung haben, aber nur dann, wenn dadurch demokratische Rechte auf Öffentlichkeit gesichert bleiben. Sich mit der Ausrede der Sicherheit zurückzuziehen und die Bevölkerung auszuschließen, ist keine Lösung. Solch eine Idee beweist lediglich den weitgehenden Sieg der Bürokratie über die politische Inspiration.

Bürokratie ist der Tod der politischen Inspiration

Umfragen zeigen, dass viele KommunalpolitikerInnen entgegen allen Klischees in die Politik gehen, weil sie engagiert sind, etwas ändern wollen und voller Ideen sind. Diese Inspiration ist das politische Ideal. Wenn sie irgendwann verloren geht, liegt das nicht so sehr an den Personen, sondern am System – und das System ist längst eines der Verwaltungsbürokratie. Zahlen und sogenannte Sachzwänge unterwerfen jegliches Engagement und sorgen dafür, dass in Krisenzeiten das Einfachste und Wichtigste vergessen oder verhindert wird: die Einbeziehung der Bevölkerung.

Gerade jetzt gäbe es die einmalige Chance, dies zu ändern und im realsten Sinne demokratisch zu agieren. Man könnte die Bevölkerung einladen, Ideen einzubringen, die wenig Geld kosten, aber die Gemeinden beleben, die regionale Wirtschaft ebenso wie den Klimaschutz stärken und den Menschen vor allem das Gefühl geben, nach dem demokratischen Lock-Down wieder gehört zu werden. Hier hat die Kommunalpolitik durchaus auszubaden, was die Nationalpolitik zu müssen hatte.

Kluge Politik schließt in Krisenzeiten ein, nicht aus

Leidenschaftliche PolitikerInnen werden daher jetzt nicht bloß auf die Verwaltung hören, die die Aufgabe hat, auf Zahlen und jegliche Sicherheit zu pochen, sondern auf die Stimmung in der Bevölkerung. Dazu muss man sich aus dem Elfenbeinturm der politischen Elite herausbewegen, unter die Menschen mischen und mit ihnen kommunizieren.

Eine Politik nämlich, die sich vor der eigenen Bevölkerung fürchtet, diese ausschließt, so oft es geht, und sich in Verwaltungsräumen verbarrikadiert, hat nicht nur ihr Engagement von der Macht der Bürokraten töten lassen, sie sorgt dafür, dass sich die Bevölkerung ebenfalls zurückzieht und tatsächlich entscheidungsverdrossen wird. Das ist dann jene Gruppe, die offen wird für die Populisten und deren Fake News.

Erstmals erschienen in Dolomitenstadt