Man kann aber gerade in Krisenzeiten auch daran erblinden.
Die ÖVP scharrt an der Absoluten. Wären demnächst Nationalratswahlen, könnte es sich für die türkise Partei ausgehen, eine Alleinregierung zu bilden. Damit würde der Traum des aktuellen Kanzlers, der dann auch der neue Kanzler wäre, endlich in Erfüllung gehen. Oft genug hat Sebastian Kurz gezeigt, dass er Koalitionspartner akzeptiert, weil es so sein muss, dass er von der Teilung der Macht allerdings wenig hält.
Alleinregierungen neigen zur Durchsetzung ihrer Macht ohne große Erklärungen. Das ist angenehm für jene an der Macht. Die Gefahr von Staatsmännern, die zuviel davon besitzen, sieht man allerdings gerade in Krisenzeiten. Man denke an Orban, Trump, Bolsonaro, Johnson. Die genannten Politiker sind über andere Wahlsysteme als das österreichische an die Macht gekommen, doch in allen Fällen zeigt sich, dass die Kontrolle durch das Parlament mangelhaft ist, weil sie zeitverzögert kommt.
Die Neuwahlen im Augenwinkel
Österreichs Bundeskanzler Kurz hat in den letzten Tagen recht deutlich gemacht, dass er an Kritik der aktuellen Verordnungen nicht interessiert ist und auch der Verfassungsgerichtshof erst irgendwann in Zukunft entscheiden werde, was derzeit rechtens ist – oder dann schon gewesen sein wird, denn die Verordnungen würden dann schon längst aufgehoben sein. Dass das nicht unbedingt der Fall sein muss, hat Kurz übersehen, ist aber hier Nebensache. Sein Satz hat die VerfassungsexpertInnen wachgerüttelt, die daraufhin ein Interview nach dem anderen in den Medien gaben.
Über etwas anderes spricht erstaunlicherweise niemand: Sebastians Kurz‘ Wunsch nach Alleinregierung. Schon zwei Mal hat er für Nationalratswahlen gesorgt, indem er Regierungen platzen ließ – lassen wir die äußerlichen Gründe hier beiseite. Es war in beiden Fällen laut Umfragen klar, dass es zu einer Stimmenvermehrung für die ÖVP kommen würde. Nun sind die Umfragen wieder gut. Eine neuerliche Wahl vom Zaun zu brechen, wäre derzeit unvernünftig und würde nicht gut ankommen, doch die Regierungskommunikation bewegt sich dennoch in Richtung Verabschiedung vom Koalitionspartner.
Wie kommt es sonst, dass ein Regierungsmitglied (Kanzleramtsministerin Edtstadler von der ÖVP), einem anderen Regierungsmitglied (Gesundheitsminister Anschober von den Grünen) über Medien ausrichten lässt, was er ihrer Meinung nach zu tun habe? Man könnte es als schlechten politischen Stil abtun, wäre nicht Edtstadler die, die sie ist: Schon mehrfach hat sie für ihren Chef übernommen, was dieser als Bundeskanzler nicht sagen konnte, aber in der Bevölkerung hängen bleiben sollte: Kritik unter der Gürtellinie. Der Bundeskanzler hat nicht die Befugnis, den MinisterInnen etwas vorzuschreiben. Daher übernimmt das eine Ministerin, macht sich selbst für ihren Chef dabei ein wenig lächerlich, kann aber dem Kollegen der anderen Partei ein Bummerl umhängen. Ein Schelm, wer meint, dass im Hintergrund Wahlen zumindest herbeigewünscht werden.
Vertrauen bringt Verantwortung
Vertrauen ist eine wichtige Kategorie in einer Demokratie. Als Bürger oder Bürgerin muss man darauf vertrauen können, dass die gewählten PolitikerInnen ihre Entscheidungen vernünftig und im Sinne der Gemeinschaft treffen. So die Theorie. Die ÖsterreicherInnen neigen zum Vertrauen in ihre Regierung gerade dann, wenn sich das Land in einer Krise befindet. Das ist nicht ungewöhnlich. Umfragen in anderen Ländern zeigen eine ähnliche Tendenz. Man vertraut denen, die durch die Krise führen.
Gerade in einer Krisensituation ist es notwendig, dass sich die Bevölkerung darauf verlassen kann, dass nicht nur schnell gehandelt wird, wie das in Österreich vorausschauend geschehen ist, sondern dass sie dies auch im Sinne des Rechtsstaats und unter Einhaltung des Verfassungsrechts tut. Denn so wenig die Verfassung im Bewusstsein der österreichischen Bevölkerung verankert ist, so sehr muss man von der Regierung und deren BeraterInnen erwarten, dass sie die Details der Bundesverfassung kennen. Eine Demokratie stellt den Bundeskanzler und die Regierung nie über das Recht, nicht einmal kurzfristig. Das zu sagen, muss erlaubt sein.
So gehört es ebenfalls zu einer Demokratie, dass die Regierung von der Bevölkerung Vertrauen erwarten darf. Allerdings bedeutet das nicht nur das Lob für das, was gut gemacht wird, sondern auch, dass man Manches hinterfrägt – gerade aus rechtlicher Sicht, damit die Demokratie zu keinem Moment in Gefahr ist. Das ist für die Regierungsmitglieder gewiss nicht angenehm, insbesondere dann, wenn sie tatsächlich nur das Beste wollen. Doch es gehört zu einem demokratischen Staat – wie die Verfassung. Und in einer Krise, in der viele Menschen nicht wissen, wie sie finanziell oder auch mental überleben, ist es umso wichtiger, dass sich die Regierungsmitglieder ihrer hohen Verantwortung für das durch die Krise geradezu blinde Vertrauen der Bevölkerung bewusst sind und nicht bereits die nächste Wahl im Auge haben.
Erstmals erschienen in: Dolomitenstadt