Der Kanzler und sein Team gefallen sich in einem aristokratisch anmutenden Führungsstil.
Beobachtet man manche Politiker, könnte man den Eindruck gewinnen, dass sie die Demokratie nicht besonders mögen. Vielleicht gefällt ihnen das Konzept an sich sogar theoretisch, doch nicht dessen praktische Konsequenzen. Der Absolutismus ist auch 100 Jahre nach Abschaffung der Monarchie in Österreich in zu vielen Köpfen verankert. Nicht zufällig werden die Landeshauptleute immer wieder als „Landesfürsten“ bezeichnet. Die BürgermeisterInnen mancher Gemeinden wiederum erlauben sich eine fast unumschränkte Herrschaft und vernichten alles, was an der Basis entsteht und zu reflektiv oder – im schlimmeren Fall – vernetzend und daher gefährlich werden könnte.
Selbstverständlich gilt das seit Jahrzehnten auch für die österreichischen Bundeskanzler, wenngleich sich nicht alle in diesem Licht sehen wollten, am wenigsten die einzige bisherige Frau an der Regierungsspitze, Brigitte Bierlein. Ihr hätte man ein wenig mehr Herrschaftsanspruch und damit Umsetzungswillen wünschen wollen. Bruno Kreisky hingegen, der in Anlehnung an Ludwig XIV. als Sonnenkönig betitelt wurde, hatte dieses Problem nie.
Österreichs Regierungen agieren gerne höfisch
Auch der amtierende Bundeskanzler Sebastian Kurz gefällt sich in seiner Rolle. Wie viel angenehmer wäre es, müsste er sich nicht um Koalitionspartner, eine zumindest hin und wieder aufbegehrende Opposition oder um das Wahlvolk kümmern. Kaiser Franz Josef I. mochte die Demokratie übrigens auch nicht.
Tatsächlich hat der Auftritt von österreichischen Regierungen bis heute etwas Höfisches. Bundeskanzler Kurz und sein Team spielen diese aristokratische Führung bestaunenswert klar durch – und überraschenderweise trifft sich hier das von Colin Crouch im Jahr 2003 vorgestellte Konzept der Postdemokratie, einer eher von Spindoktoren und Außeninteressen geleiteten Politik, mit den Resten dieser höfischen Art.
„Ja, dürfen’s denn das?“
Da ist der etwas abgeschirmte Kanzler, der freundlich lächelt und stets ruhig erklärt, was seine Schäfchen, die MinisterInnen, tun, während ein kleines Team, darunter Klubobmann August Wöginger, die Arbeit der Message Control nach innen und außen übernimmt. Die Opposition wird nach dem Motto „Ja, dürfen’s denn das?“ (hier sind wir wieder bei der Monarchie, zumal der Satz Kaiser Ferdinand zugeschrieben wird) abgefertigt, indem Fristen verkürzt, Gesetzesentwürfe überraschend eingebracht und auch sonst wenig kommuniziert wird.
Demokratie ist, so wird indirekt mitgeteilt, eigentlich lästig, daher werden ihre Regeln soweit als möglich übergangen. Selbstverständlich wird die offizielle Erklärung etwas freundlicher gestaltet. Kommunikation findet dabei nur in eine Richtung statt: vom Hof zum Volk, nie umgekehrt.
Der Hofstaat richtet sich auch gegen den Koalitionspartner
Letzteres gilt anscheinend auch für den aktuellen Koalitionspartner, der mit Aussagen, die mehr nach türkis-blau als nach türkis-grün klingen, überrascht (Asylzentren) und mit rechtspopulistischen Ideen (Sicherungshaft) beschäftigt gehalten wird. Dementsprechend kommen die Grünen aus der anhaltenden Defensive nicht heraus und finden abgesehen vom regierungserfahrenen Sozialminister Rudi Anschober kaum Zeit für ihre Regierungsarbeit. Gleichzeitig – und auch hier zeigt sich eine Parallele zur Monarchie – ist die personelle Verankerung der ÖVP und ihrer ehemaligen Regierungspartner in den einzelnen Ministerien so groß, dass grüne Ideen erst ihre Umsetzer unter den Beamten finden müssen.
Colin Crouch malte in seinem vielzitierten Buch zur Postdemokratie ein ganz ähnliches Bild: Regierungen, deren Mitglieder sich mehr um das eigene Image als um die langfristigen Folgen ihrer Politik sorgen; PolitikerInnen, die Distanz zur Bevölkerung aufgebaut haben, weil sie diese nicht mehr brauchen, zumal sie von befreundeten Wirtschaftsunternehmen genug Geld erhalten, um exorbitant teure Wahlkämpfe zu führen, die die gewünschte Erzählung vor die Wahrheit stellen; und schließlich die Abkehr von politischen Partnern und jeglicher Opposition, weil diese aus denselben Gründen nicht mehr benötigt werden. Je weniger man sich um sie kümmert, desto weniger Raum erhalten sie. Das wiederum war übrigens auch eine Strategie von Kaiser Franz Joseph I. gegen demokratische Strömungen.
Die Jugend will Taten sehen
Dennoch birgt diese Strategie eine Gefahr: Eine Regierung kann mehr junge MinisterInnen und BeraterInnen haben als je zuvor. Solange sie eine Politik betreibt, in der die stimmenstärkere Partei an jedem Tag Wahlkampf führt und dabei weder dem Koalitionspartner, noch der Opposition oder der Bevölkerung zuhört, wird sie immer an vergangene politische Systeme erinnern.
Österreich gilt als demokratischer Nachzügler. So stolz man im vergangenen Jahr „100 Jahre Republik“ und damit die Demokratie gefeiert hat, so spät ist diese im Vergleich zu anderen Staaten umgesetzt worden. Bekanntlich aber wurde die Monarchie letztlich doch abgeschafft. Das könnte auch der Demokratie, wie sie derzeit inszeniert wird, geschehen. Zumindest junge Menschen wehren sich in zunehmendem Maße gegen die Macht der Wenigen sowie gegen leere Versprechungen und den postdemokratischen Ausschluss der Bevölkerung von Entscheidungen über die Zukunft. Kluge Regenten wussten schon immer, dass man die Menschen leben lassen muss, um sie für sich zu gewinnen.
Erstmals erschienen in: Dolomitenstadt