Ein Maß an Eitelkeit und der unumschränkte Machtanspruch scheinen beiden Politikern den sicheren Wahlsieg zu versprechen
Matteo Salvini versucht derzeit, was Sebastian Kurz vor zwei Monaten gelungen ist: den ungeliebten, aber einst doch recht bequemen Koalitionspartner loszuwerden, indem man so tut, als hätte jener Partner nicht nur falsch gehandelt, sondern mit einer einzelnen Aktion alle zuvor gemeinsam getroffenen Entscheidungen zunichtegemacht. Somit erscheint alles, was bisher nicht ganz rund gelaufen ist, als Schuld des einstigen Verbündeten. Man selbst steht als jener da, der lange genug im Sinne des Staates eine unerträgliche Ehe erduldet hat, die nun einfach nicht mehr fortsetzbar ist. Auf diese Weise wird quasi endlich das volle Potenzial des eigenen Handelns und der eigenen Partei sichtbar.
Wie jede gute Geschichte braucht auch eine solche einen Helden, und der heißt in Österreich Sebastian Kurz, in Italien Matteo Salvini. Beiden wird ein konkurrenzloser Sieg für die anstehenden Wahlen vorausgesagt, nicht zuletzt deswegen, weil sie angeblich hohe Professionalität an den Tag legen und die Oppositionsparteien gerade schwächeln. Weitere Erklärungen scheint es nicht zu brauchen. Kein Wunder, dass man sich zu Neuwahlen entschlossen hat. Welcher Politiker siegt nicht gerne?
Der chinesische Kriegsstratege und Philosoph Sunzi (6. Jahrhundert vor Christus) hätte seine Freude an diesen Schachzügen, war er doch der Meinung: „Die größte Leistung besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne einen Kampf zu brechen.“ In beiden aktuellen Fällen gilt das nicht nur für den ehemaligen oder Noch-Koalitionspartner, sondern gleichermaßen für die Opposition, für die die Wahlen in beiden Ländern zu früh und zu überraschend kommen.
Machtpolitik scheint in der Bevölkerung wieder beliebt
Während man diese Strategie aus Sicht der Politiker nachvollziehen kann, stellt sich die Frage, warum die Wählerinnen und Wähler derart bereitwillig folgen – zumindest laut aktuellem Umfragestand. Was macht Salvini und Kurz, die ohne Rücksicht auf den vermeintlich eigentlichen Auftrag der Wählerinnen und Wähler, nämlich zu regieren, ihre Mehrheiten ausbauen wollen, so erfolgreich? Zwar gibt es das eine oder andere kurze Jammern, dass schon wieder gewählt werden müsse und dies viel (Steuer-)Geld koste, doch die alte Regel, dass jene Person, die eine vorgezogene Wahl provoziert, diese verliert, scheint nicht mehr gültig zu sein. Wäre es möglich, dass ausreichend Populismus und dessen Variante, die Message-Control, die Bevölkerung überzeugen? Oder sie sich diese sogar wünschen?
Vergleicht man die beiden Politiker Salvini und Kurz, so findet man weder optisch noch in ihrem Verhalten – der eine ein Polterer, der andere wohlerzogen wirkend – wesentliche Gemeinsamkeiten. Was sie gemeinsam haben, ist eher ein gewisses Maß an Eitelkeit, gepaart mit einem Machtanspruch, der keinen Widerspruch duldet. Gerade Letzteres ist interessant, da beide parteiintern durch politische Strategien, die an einen „Putsch“ erinnern oder zumindest ein kompromissloses Diktat darstellen, an die Macht gelangt sind. Keinem von beiden wird dies übel genommen, sie werden eher als Erneuerer betrachtet. Hinterfragt wird daher zumindest parteiintern kaum etwas, solange die Wahlergebnisse dem Wunsch entsprechen.
Die Bevölkerung folgt in prozentuell erstaunlicher Weise, denn die Überrumpelung hat bei beiden auch in Bezug auf das provozierte Regierungsende funktioniert, bei Kurz sogar schon das zweite Mal. Interessant wird es daher in der kommenden Regierungsperiode, wenn beide nicht nur neue Koalitionspartner suchen müssen (oder Kurz die FPÖ zur Aufgabe mindestens eines wesentlichen Players zwingt), sondern es die Umstände vielleicht von ihnen verlangen, dass sie durchhalten und durcharbeiten – im besten Fall bis zur nächsten regulären Wahl.
Erstmals erschienen in: Der Standard